Schreibwerkstatt III

töchter

wir
die töchter
wollen wieder
gut machen




 
 
wir
guten töchter
wollen euch
trösten
 
 

wir wollen
versprechen
einhalten
vernünftig sein


doch wir
wissen nie
was recht ist
wems recht ist


wir
machens allen
rechts und links
ducken uns geschmeidig


verbergen
unsere hände
linkisch
zu keinem schuß bereit


wir
trauen uns nicht
die hände hoch
in die luft


wunderkerzen anzünden
jubeln und jauchzen
lichterketten jagen
uns schauer über den rücken







wir
hassen nicht
selbst euch nicht
vater mutter

wir hassen
höchstens uns
und verstehen
immer noch



warum wir solchen hunger hatten
warum wir so alleine waren
warum läuse und krätze uns plagten
warum wir alles fraßen



wir töchter
lesen eure alten briefe
nicht
und schauen verstohlen



mit angehaltenem atem
auf die alten photos
vater in uniform
großvater in uniform



ob er nun doch vielleicht
er muß es doch
gewußt haben
sieht mans ihm an



wir zerfließen
in mitleid
vor den müttern aller
generationen




töchter
von jammertalweibern
gebückt gebuckelt
die schmerzhafte madonna



 
dennoch aus allem
was machen
das beste
aus luft und dreck



 
ein essen
ein stübchen
ein jäckchen röckchen
ein Kindchen



 
wir haben nichts
kein heim
weh
wehwehchen




 
rache
kennen wir nicht
wir können keine steine werfen
unsere eltern waren schuld

das gott erbarm
sie wußten ja nicht
sie konnten doch nicht
sie dachten doch nur




 
wie ihre väter
wie ihre mütter
wie im ersten weltkrieg
wie im zweiten weltkrieg

verführte
analphabeten
fromm
und gehorsam bis zum tode



 
wir töchter
sind nur mal dazwischen
gerutscht
der dritte weltkrieg



 
wir hüpfen
in die lebenslust
und träumen
davon stirbt man


















 
wir
halten keinen mann
fest
schon schreiben wir ihn ab

briefe
feldpostlagernd
wir töchter erwarten
keine antwort

bis ein fremder
wiederkommt
lassen uns
die fehlgeburt zeugen

wir töchter mütter
suchen
schutzbunker
schnuppern brandgeruch



 
wir töchter
der kriege
des faschismus
wir sind nicht davongekommen








 
in welche reihe
können wir uns stellen
neben wen
daß uns eine hand

zu euch
opfer und kinder der opfer
trauen wir uns nicht
wir können doch nur









 
schamvoll schluchzen
unsere väter mütter
haben doch sowenig
geweint

wir tragen
trauermäntel
mit dem roten innenfutter
der wut




 
stumm sind wir
die hände auf dem rücken
winden wir
totenkränze




 
es ist an der zeit
töchter
uns
zu beweinen





















 
ach
würdet ihr denn
mitweinen
können

um morgen
mit rotgeweinten augen
tränensäcken
salzspuren auf den wunden

damit sie nicht
zuheilen
vor der zeit
aber

aufrecht gehen und stehen
deutlich und laut
mit voller stimme
nicht ohne ein bißchen ironie









 
wir
die töchter
wissen bescheid
hört auf
uns
töchter  
ug8/93 



aus: "Vorläufige Texte", S. 76 ff., Denzlingen, 1994  

Dr. Ursula Geißner, Lehr-Trainerin, Lehr-Supervisorin, Organisatíonsberaterin (DGSD)