Der intentionale Aspekt der Situation

Der "Ich" Aspekt der SituationDer "Sach" Aspekt der SituationDer "intentionale" Aspekt der SituationDer "Wir" Aspekt der SituationSituation  

Der intentionale Aspekt wird als strukturierender Aspekt in der Situation verstanden. Denn Intentionen wirken sich strukturierend, bezogen auf etwas, zu etwas hin oder zielführend aus. Jegliches Handeln kann man also als ein intentionales, in irgendeiner Hinsicht zielstrebiges Handeln bezeichnen. Und da Menschen in ihrem Miteinander sehr viele ihrer Handlungen auf dem kommunikativen Weg vollbringen, ist die sorgfältige Beobachtung der Handlung Kommunikation als Trägerin und Konstrukteurin von Intentionalität in der Arbeit mit diesem Aspekt der Situation von zentraler Bedeutung.

„In dem Wort mit-ein-ander-sprechen steckt bereits der ganze Prozess, um den es hier geht. Nämlich: ‚einer‘ und ‚ein anderer‘ ‚sprechen‘ ‚mit‘. Dabei ist vorausgesetzt: beide können sprechen und hören; weiter: sie sprechen ‚nacheinander‘ und ‚zueinander‘; schließlich: es werden keine Einzelerklärungen aneinander gekettet, sondern die Einzeläußerungen beziehen sich aufeinander wie Frage und Antwort oder als Frage und Antwort. Wenn der eine spricht, hört der andere; wenn dieser antwortet, hört der erste. Und aus der Wechselbeziehung entsteht zwischen den Partnern etwas, was keiner der beiden hätte allein sagen können.“ (s. 1)

Die Beobachtung von Kommunikationsprozessen und insbesondere der rhetorischen Kommunikation, die sich in der Situation entfaltet, gewährt Einsichten in unvermeidliche und wirkungsvolle Interdependenzen zwischen Sprechenden und Hörenden.

Auch der unvermeidliche Doppelbezug (Sach- und Personenbezug) in jeder Sprechsituation kann in seinem Mäandern zwischen beiden Aspekten oder seinem Tendieren zu stärkerem Sach- oder Personenbezug als Struktur bildender bzw. Intentionalität aufzeigender Prozess beobachtet werden.

In Kommunikationen äußert sich zugleich Intentionalität in ihrer Tiefe und räumlichen Reichweite. Beabsichtigt beispielsweise jemand, sich hier und jetzt möglichst schnell und wirkungsvoll Gehör zu verschaffen, um sich mit einer bestimmten Idee durchzusetzen, könnte man zunächst eine eher geringere intentionale Tiefe und Reichweite annehmen. So etwas könnte man auch ein kurzfristig konkret zu erreichendes Ziel nennen: „Aha, da will sich jemand durchsetzen. Hat’s wohl nötig!“ Solche Interpretation unterstellt bereits einen Ich-bezogenen, nicht besonders sympathischen Zweck… Dazu im nächsten Text mehr.

Aber es offenbart sich doch schon, dass es auch hinter vordergründig vermuteten Zielen womöglich Zwecke gibt, die diesen (nur auf den ersten Blick offensichtlich erscheinenden) Zielen zugrunde liegen und ihnen gewissermaßen als Motor dienen.

Fragt man also mit mehr Unvoreingenommenheit weiter und beobachtet, was denn möglicherweise dahinterstecken könnte, wozu sich also jemand hier und jetzt so dringlich Gehör verschaffen möchte, gelangt man nach meiner Erfahrung recht zügig in die Bereiche größerer Tiefe und Reichweite von Intentionalität. Dazu gehören Glaubenssysteme, Philosophie, Ethik, Religionen und auch ideelle politische Bewegungen.

Es gibt Berufsgruppen, die sich im Rahmen ihrer Berufstätigkeit ständig mit Intentionalität befassen, indem sie intentional persönlich und thematisch engagiert sind wie beispielsweise in der Sozialarbeit und Pädagogik, in kirchlicher Seelsorge, im Ethik- und Religionsunterricht und auch in manchen politischen Kontexten.

Die amtlich ausgeübte Politik würde ich zur Zeit jedoch eher zu dem professionellen Sektor zählen, der sich überwiegend strategisch intentional orientiert zeigt, so wie auch Führungskräfte vermutlich nicht zuerst ihrer persönlichen Intentionalität (ihrem Gewissen) folgen „dürfen“, sondern Nutzen, Gewinnoptimierung und Expansion ihrer Organisation und den dazu erforderlichen Macht-Erhalt zu favorisieren haben.

Darüber hinaus gibt es aber auch politische Aktivitäten, die hier und jetzt in nicht amtlichen Kontexten stattfinden. Das geschieht überall da, wo Menschen ihre gegenseitigen Abhängigkeiten im Sinne des Gelingens einer gemeinsam definierten Sache handhaben und sich um Aushandlungsprozesse bemühen, die diese Bezeichnung verdienen. Wenn solche Kommunikation in Gruppen gelingt, zeigen sich Freiheit und Gestaltungskraft des individuellen Willens, der sich als interdependenter, auch gesellschaftlich wirkungsvoll gestaltender Wille auswirken kann.

So vollzieht sich bereits eine Praxis mikropolitischer Bildung, die auch als kraftvolles Beispiel in den Alltag institutioneller Aushandlungs-Prozesse hinein wirken kann… womit hier einerseits eine Aussage zur Intention situationsdynamischer Arbeitspraxis, aber auch über meine agogischen Absichten als Trainerin für Situationsdynamik gemacht sei.


aus: "Situationsdynamik - Guck doch mal, wie Du guckst! Wer situativ beobachtet, weiß weniger und sieht mehr...", S. 37 ff., Saarbrücken, 2011  

Christiane Schmidt, Supervisorin (SD), Trainerin (SD)


1. Hellmut Geißner in „Reden und reden lassen“, Stuttgart, 1975, S. 199